Abzocke oder Kompetenz? Neigen einige Tierärzte zu unnötigen Behandlungen und verdienen sich so eine „goldene Nase“? Das wollte „Plusminus“ herausfinden. Wir haben uns die Sendung mal genauer unter die Lupe genommen.
„Plusminus“ hat in seiner Sendung vom 12.04.17 über Tierärzte berichtet, die anscheinend mehr zur Kasse bitten als nötig. In der Sendung wird behauptet, das einige Tierärzte mit unnötigen Behandlungen Geld verdienen und Kombi-Impfungen als wahre Goldgrube gelten.
Grund dafür sei vor allem der wachsende Konkurrenzdruck unter Tierärzten.
Hier der Beitrag aus der „Plusminus“ Sendung vom 12.04.2017, den Beitrag könnt ihr auch in der Mediathek bis zum 13.04.2018 sehen.
Hund und Katze krank – Der Vorwurf
So erst einmal der Vorwurf. Doch ist es wirklich so einfach? Ja, es gibt auch Abzocke unter den Tierärzten. Nein, es ist keine Netzbeschmutzung, wenn man als Tierarzt auf die dunklen Seiten seiner Gilde hinweist. Allerdings sollte man in der Vorverurteilung sehr vorsichtig sein.
So macht es einen Unterschied, ob ich aus Gewinnsucht handle oder im guten Glauben mit diagnostischen Mitteln – in einigen Fällen überzogen – dem Tier helfe oder dem Besitzer nicht genau erkläre, warum die Art und Weise diagnostisch vorzugehen sehr viel Sinn macht.
Es ist nicht alles Abzocke, was für den Laien wie welche aussieht. Es ist vielmehr so, dass sich manchmal Untersuchungen aneinanderreihen, um eine klare Diagnose zu bekommen und damit eine klare Prognose zu erhalten. Das ist für die Behandlung und damit für Tier und Besitzer die einzig wirklich vernünftige Variante der Behandlung.
Es gibt aber auch hier Fälle, wo sich eine Vielzahl von unnötigen oder manchmal sogar schädlichen Untersuchungen schlicht aus Inkompetenz des behandelnden Tierarztes aneinanderreihen.
So gilt auch hier: Wenn du dir unsicher bist, lasse dich beraten. Sei kritisch und lasse dir erklären, was Du nicht verstehst. Du bezahlst die Rechnung und wir Tierärzte sind Dienstleister. Es liegt in Deinem, wie in unserem Interesse, dass Du zufrieden aus der Praxis gehst.
Hund und Katze krank – Die Tierärzte
Ich kenne sehr viele unglaublich engagierte Kollegen und Kolleginnen. Wir beraten uns gegenseitig, tauschen uns aus und durchspielen vielfältige Möglichkeiten Tier und Besitzer in der geeigneten Weise zu helfen. Die Masse der Kolleginnen und Kollegen, lassen sich nicht verführen von Lobbyisten der Futtermittelindustrie, von Provisionen und von Vergünstigungen. Jene sind es nur, die das Bild der Tierärzteschaft mitunter sehr und nachhaltig trüben können.
Aber immer wieder stelle ich auch fest, dass Fälle von Laien oder schlimmer von „Halbgebildeten“ schlicht falsch wiedergegeben werden.
Im Notdienst werde ich manchmal angerufen: „Bitte kommen Sie schnell. Mein Hund hat eine Magendrehung.“ Wenn ich dann frage, woher sie das wissen, wird mir geantwortet „aus dem Internet!“ Wenn es so leicht wäre Diagnosen zu stellen, dann bräuchte es keine 6 Jahre zur Absolvierung dieses Studiums.
Hund und Katze krank – Die Kosten
Ein Beispiel einer zweifelhaften Interpretation: In dem Beitrag, der vor kurzem in der ARD ausgestrahlt wurde, hieß es, dass „… der Konkurrenzdruck zwischen den Haustierpraxen wird immer härter. Vor 15 Jahren arbeiteten dort 4.400 Tierärzte. 2015 waren es schon mehr als 6.000 – ein Anstieg von 36 Prozent.“ Einen Absatz später wird aber berichtet, dass die Anzahl der Katzen um 100 Prozent und die Anzahl der Hunde um 50 Prozent gestiegen ist. Ich bin kein genialer Mathematiker, aber auch mir scheint klar, dass damit jeder Tierarzt mehr Patienten zu betreuen hat, und nicht weniger.
Ein Beispiel, um die Behandlungsintensität versus Kostendiskussion etwas näher zu beleuchten: Es gibt den Arzt, der egal was für ein Tier und was für eine Symptomatik er bei dem Patienten vorfindet, ein Antibiotikum und ein Kortison spritzt. Das ist eine sehr preiswerte Behandlung und in einigen Fällen führt sie auch zur Gesundung des Tieres. Wobei wir als Tierärzte nicht immer wissen, ob das Tier wegen oder trotz unserer Medikamente wieder gesund geworden ist.
In einigen Fällen wird diese Behandlung aber Schaden anrichten können, und zwar eher, als das Tier wieder gesund zu machen. Hier ist die Frage, ob wir nicht mit ein wenig mehr Aufwand für eine bessere Abklärung der Diagnose vorantreiben sollten.
Mehr Diagnosen kosten Geld
Immer wieder habe ich Patienten, die zu mir in die Sprechstunde kommen, weil sie unzufrieden mit einem Kollegen oder Kollegin waren. Dann heißt es: „Das haben die nicht erkannt.“ Oft heißt es dann aber auch, dass nicht genug und gründlich untersucht wurde.
Das andere Extrema ist, wenn einer Katze, die seit einem Tag nicht mehr frißt, sofort und ohne weitere Diagnostik eine Sonde gelegt wird. Hier ist zu vermuten, dass das zuviel des „Guten“ ist. Hintergrund hier ist, dass Katzen, die nicht mehr fressen, relativ schnell in einen sehr instabilen Stoffwechselzustand rutschen können. Futter über die Sonde zu applizieren, ist deshalb nicht ganz falsch gedacht, allerdings stresst es das Tier und seinen Besitzer oft in einer Art, die nach Alternativen suchen lassen sollte.
Es würde allerdings auch nicht ausreichen, ein Antibiotikum und ein Kortison zu spritzen. Angemessen aus meiner Sicht – abhängig vom Alter des Tieres, von Vorerkrankungen etc. – wäre vielleicht eine Blutentnahme, um zu schauen, ob wir ein Organproblem haben (Niere, Bauschspeicheldrüse, Leber….) und wie das Blutbild hinsichtlich der roten und weißen Zellen (Entzündungszellen) aussieht. Futter schmackhafter zu machen oder vorsichtig durch das Maul einzugeben, reicht in vielen Fällen auch schon aus, um ein Tier etwas Futter zu kommen zu lassen.
Preiswert oder Abzocke?
Auf das andere Beispiel in dem Artikel eingehend: Wenn ein Dackel in die Sprechstunde kommt, der Schwierigkeiten beim Laufen hat, dann könnte man vermuten, dass es sich eventuell um Dackellähme handelt. Aber eine Lahmheit könnte auch tausend andere Ursachen haben. Gibt sich der Tierarzt und der Besitzer mit einer Vermutung und einer provisorischen Behandlung zufrieden oder sollten wir als Tierärzte nicht etwas genauer hinsehen und vielleicht doch ein Röntgenbild machen?!
Stell Dir vor, du behandelst den vermuteten Bandscheibenvorfall mit starken Schmerzmitteln und der Hund hat in Wahrheit einen Fremdkörper im Darm, dessen schmerzhafte Symptomatik durch das Schmerzmittel überdeckt wird und der Hund stirbt dir kurz darauf an einer Sepsis…. Sagst du dann: „Das ist schon okay, die Behandlung war ja preiswert.“? Oder bist Du sauer auf den Tierarzt, dass er sich mit einem Verdacht zufrieden gegeben hat und nicht weiter diagnostiziert hat?
Dem Hund von Frau Breitner ging es immer schlechter, hat gebrochen und hatte Durchfall. Röntgen ergab einen Fremdkörper im Magenausgang. Der wurde operiert. Der Hund verstarb kurz nach der OP – nicht am Fremdkörper, sondern daran, dass keine Endoskopie gemacht wurde. In der Speiseröhre war ein Riss durch den Fremdkörper beim Abschlucken entstanden, der in der Röntgenaufnahme nicht zu sehen war. Der Riss lies Nahrungsbrei in den Brustkorb fließen und die folgende Septikämie führte zum Tod des Tieres.
Diese Fälle sind Einzelfälle, doch es gibt sie, immer wieder. Stell dir vor, wenn der Tierarzt zu Frau Breitner gesagt hätte: „Wir haben jetzt kostenintensiv geröntgt und einen Fremdkörper im Magen gefunden. Die Operation kostet ungefähr tausendfünfhundert Euro. Aber ich würde auch gern noch eine Endoskopie machen, um die Speiseröhre nach einem Defekt zu untersuchen. Das kostet auch noch einmal 250 Euro….“ Wenn in diesem Fall nichts gefunden worden wäre, hätte der eine oder andere gesagt: „Abzocke!“ Wenn etwas gefunden wird: „Was für ein umsichtiger Arzt!“
Ich hoffe, Euch etwas von der Komplexität unserer Arbeit vermittelt zu haben. Wir tappen selbst oft im Dunkeln und müssen suchen… solange, bis wir das entscheidende Kriterium gefunden haben.